ROYAL CHAPEL – KingKonkret

Ausstellung mit der Künstlergruppe »KingKonkret«:
Knut Müller . Dirk Richter . Ingrit Sperrle .
Frank Tangermann . Susanne Werdin . Gerhard Wichler
Programm zur Eröffnung:
Einführung: Julia Blume
Musik: »ISIS« für Klarinette Solo (2011)
Komposition von Knut Müller
Klarinette: Anja Starke

© KingKonkret v.l.n.r.  Ingrit Sperrle . Susanne Werdin . Gerhard Wichler .  Dirk Richter . Frank Tangermann . Knut Müller

KingKonkret

(Rede von Julia Blume am 2.12.2018, Art Kapella, Schkeuditz)

In der Leipziger Zeitschrift Vivos Voco veröffentlicht Oskar Schlemmer 1926 seinen Text

Tänzerische Mathematik, in dem er seine Freude an einer künstlerischen metaphysischen Mathematik formuliert, deren Verwandtschaft er im ursprünglichen Gefühl, einer Idee sieht, die sich zu einer ordnenden Form verdichtet. Er beschreibt eine Sehnsucht nach Präzision, nach Gestalt. In der Überzeugung, dass sich gerade an den Grenzen Neues abzeichnet, wendet er sich dem Tanz als Experimentierfeld zu. Dabei erprobt er das Elementare und Typische, das im abstrakten Zusammenspiel Form annimmt. Tänzer bewegen sich im Raum, den er als ein Gebilde aus Maß und Zeit beschreibt.

Der Mathematiker Helmut Hasse, der zwischen 1925 und 1930 in Halle lehrte, bezieht sich in seinem Text Mathematik als Wissenschaft, Kunst und Macht (1951) auf Ähnlichkeiten zwischen Mathematik und Musik. Bezogen auf eine logische Beweisführung schreibt er: Dafür, dass eine solche Komposition Mathematik ist, ist ihre logische Richtigkeit zwar notwendig, aber keineswegs hinreichend. Es muss vielmehr das Analogon der musikalischen Schönheit und Dynamik hinzukommen.

Ebenfalls in der Mitte der 1920er Jahre bildet sich unter dem Einfluss von Theo von Doesburg die Kategorie Konkrete Kunst, die auf den Intellekt setzt, auf die vorweggenommene Idee, in der es um Linie, Farbe und Fläche an sich geht und nicht um die Abstraktion des Figürlichen. Wir sind Maler, die denken und messen heißt es im Manifest der konkreten Malerei 1930. Technische Perfektion, Klarheit, Ordnung und Kontrolliertheit werden als Qualitäten benannt. Geometrische Figuren entsprachen diesen Forderungen am ehesten. Die Entwicklung der Malerei ist nichts anderes als die Suche nach Wahrheit durch die Kultur des Visuellen.

So ungewöhnlich und notwendig dieser Ansatz zu jener Zeit war, so sehr kann auch er zum Korsett werden, wenn man das Zufällige, das Spielerische und Intuitive ausgrenzt. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte ist der Begriff des Konkreten weiter geworden, nahm andere Kunstrichtungen in sich auf, reicherte sich an und erweist sich als immer wieder erneuerbar.  Und sei es als ein Bindeglied zwischen Künstlerinnen und Künstlern, die aus ihrem künstlerischen Arbeiten, seien sie minimalistisch, Mustern angelehnt, konstruktiv, aus ihrer individuellen Formensprache heraus eine eigene Position zur konkreten Kunst entwickeln, scheinbar im Prozess zwischen Annährung und Abstoßung, einer Bewegung, die neue Energien freisetzt.

Susanne Werdin, Ingrid Sperrle, Gerhard Wichler, Knut Müller, Frank Tangermann und Dirk Richter bilden seit etwas mehr als einem Jahr die Künstlergruppe Kingkonkret, deren Ausstellung wir heute eröffnen. Anders als bei thematisch fremdkuratierten Ausstellungen geben sie durch die jeweils autonomen Kunstwerke das Setting vor und entscheiden miteinander, wie sich daraus ein neues Ganzes wie eine Komposition aus verschiedenen Eindrücken ergibt. Jede, jeder Einzelne lädt zur Betrachtung der persönlichen Arbeiten ein, entlässt dann zum Nächsten, taucht wieder auf, entlässt von Neuem. Ihre Gemeinsamkeit generiert sich nicht über die Wurzeln in Schulen sondern über das Entdecken verwandter Kunstsprache.

Ingrid Sperrle, geb. im Schwäbisch Gmünd, studierte und arbeitete als Künstlerin in Freiburg im Breisgau und kam vor ca. 10 Jahren nach Leipzig.

In ihren Arbeiten verbinden sich Materialien auf subtile Weise und bewegen sich auf den Grenzlinien zwischen Malerei, Grafik und Assemblage. Rost, durch den Sauerstoff auf Eisen sichtbar wird und dessen zeitlichen Verfall begleitet, wird auf eine neues Trägermaterial gehoben und dort so komponiert, dass freibleibende geometrische Flächen den Blick auf den darunter liegenden Stoff mit den ihm jeweils innewohnenden besonderen Strukturen und Anmutungen ermöglichen. Die aus gewisser Distanz homogen wirkende rotbraune Rostoberfläche gliedert sich beim näheren Betrachten in eine Vielzahl von Farbigkeit im Braun-Rot-Schwarz-Orange-Spektrum auf und schafft unterschiedliche Höhen und Tiefen. Das Material tastet sich vorsichtig in den Raum hinein. Der häufig als Abfallprodukt wahrgenommen Rost kann sich auf Ingrid Sperrles Bilder neu entfalten und schön werden.

Frank Tangermann kommt aus Halberstadt und arbeitet seit 8 Jahren in Leipzig. Klare geometrische Figuren schaffen eine Illusion von Raum. In sich harmonisch ausgerichtet wird das Herausstrebende wieder eingefangen. Dabei kommt es zum Ausloten der Kraft von Farbkontrasten, mit denen wir Moderne assoziieren. Geometrische Konstruktionen, die ein Hervor- und Zurücktreten untersuchen, zeugen von konzentrierter Aufmerksamkeit. Seriell angelegt verweisen seine Arbeitemn auf optische Wahrnehmungsphänomene. Das Heraustreten aus der Fläche passiert in unseren Köpfen.

Tatsächlich dreidimensional sind die Holz-Skulpturen von Dirk Richter, der in den 1990er Jahren in Dresden Bildhauerei studierte und in Leipzig lebt und arbeitet. In seinen Objekten scheint auch das Erbe der Konstruktivisten aufgehoben, jedoch angereichert durch paradoxe Verschränkungen und Durchdringungen. Farbige, durch rot und gelb akzentuierte Gebilde betonen das Lineare, erforschen Grenzen und Zwischenräume. Gebogenes wird gleichsam tänzerisch ineinander verschränkt. Fragmente formen ein neues, anderes Ganzes. Dazu stehen Arbeiten auf Papier wie flächig gewordene Schattenbilder der Skulpturen und zugleich als Ausdruck innerer Balance.

Gerhard Wichler studierte in Leipzig Grafik. Seine Arbeiten spielen mit der Kraft des bewegten Musters. Geometrisch gegliederte Strukturen bilden den ordnenden Grund für flirrende Farbnuancen. Nähert man sich den kosmisch anmutenden Bildern, so entdeckt man überraschende Binnenwelten, die aus Farbe, Linien und kleinen tonnenförmigen Perlen, wie man sie in Kinderfädelspielen finden kann, zusammengesetzt sind. Man spürt die Akribie und Präzision, die für diese Arbeiten nötig ist und ahnt etwas von der Zeit, die sich in den Entstehungsprozess eingeschrieben hat. Materialien werden zugleich wertschätzend einer neuen Bestimmung zugeführt. Ausdrucksformen anderer Kulturen, die dem Ornament Sprachgewalt zugestehen, scheinen auf.

Bei Knut Müller verschränkt sich das Musikalische und Bildliche auf besondere Weise. Alles ist rhythmisch und Kompositionen gelten hier wie dort. Einzelne Parameter wie Farben und vertikale Linien sind festgelegt und geben eine Ordnung vor, in die sich der Zufall fügt. In ständig neuen Kombinationen findet die stetige Veränderung statt und Zeit, die in der Musik ein Element ist, findet im Video eine Entsprechung. Während die Arbeit hier auf dem relativ kleinen Display in den Dialog mit den anderen Werken der Künstlergruppe tritt, verändert sie ihren Wirkungsraum im Dialog mit Musik. Immer ist die Zuhörerin / Betrachterin, der Zuhörer / Betrachter der letztliche Vollender des Werkes, indem er beide Erlebnisse in Harmonie oder Differenz zusammenführt und eigene Assoziationen entwickelt. Zwei Kompositionen in Gelb tasten sich aus der Fläche in den Raum und fügen sich zu einer ganz eigenen Landschaft voll überraschender Heiterkeit.

Susanne Werdin erforscht mit ihren Arbeiten sehr genau die Grenzen zwischen Fläche und Raum. Kreise, Quadrate, Rechtecke, Linien überlagern sich, manchmal durch lasierende Flächen aufscheinend, manchmal durch tatsächlich tief liegende oder randständige Farben markiert. Zu Weiß gesellt sich Grau, Schichtungen werden optisch suggeriert und an anderer Stelle objekthaft vollzogen. Rot als energetische Farbe strukturiert, ordnet, begrenzt. Vorder- und Hintergrund scheinen nicht unabänderlich festgeschrieben. Als zusätzlicher Faktor in den Spielarten von Grau schreibt sich der Schatten den die heraustretenden Körper bedingen, je nach den Lichtverhältnissen ständig neu ins Bild ein.

Alle 6 der hier vorgestellten Positionen berühren sich im Raum.

Wenn es im Zusammenschluss von Künstlerinnen und Künstlern zu Gruppen um mehr geht als um bessere Möglichkeiten öffentlicher Wahrnehmung durch Ausstellungen oder auf Messen und um mehr geht als ökonomische Lasten zu teilen, wenn es um den ideellen und künstlerischen Wert des gemeinsamen Auftritts ebenso geht wie um die Möglichkeiten des Gesprächs, der Kritik und um die lebendige Anregung, dann hat Kingkonkret ein großes Potential. Vielleicht auch, weil sich hier Persönlichkeiten zusammentun, die bereits erfahren sind und sehr bewusst das Miteinander schätzen als Zusammenschluss autarker Künstlerinnen und Künstler.

Kingkonkret in der Art Kapella, eine schöne Fügung der Begriffe für diese Ausstellung, der ich viele interessierte Besucherinnen und Besucher wünsche.

© Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von der Autorin und Kunsthistorikerin Julia Blume